Bavarian Genomes: 1000 Klinische Genome für Seltene Erkrankungen in Bayern

 

Das Projekt „1000 Klinische Genome“ gründet auf einer Vernetzung der Zentren für Seltene Erkrankungen in Bayern und hat das Ziel, ursächliche Sequenzvarianten im Genom von mindestens 1.000 Patienten mit einer seltenen Erkrankung aber genetisch unklarer Diagnose zu identifizieren. Die Bestimmung von DNA- und RNA-Sequenzen wird in einem zentralen Labor auf dem neuesten technischen Stand der Genomsequenzierung durchgeführt. Die Berechnung und Speicherung der Daten erfolgt ebenso zentral am Leibniz-Rechenzentrum. Ärzte und Patienten an den Zentren erhalten einen netzbasierten, kontrollierten Zugang für eine dezentrale Auswertung und Interpretation. Das Projekt verbessert die Versorgung von Patienten mit Seltenen Erkrankungen und schafft Kristallisationspunkte für die Erforschung neuer Behandlungsstrategien.

 

 

Arbeitspaket 1: ELSI Ethical, Legal and Social Implications (Koordination: Prof. R. Anselm, LMU)

Primäres Ziel des ELSI-Arbeitspaketes ist es, die Einhaltung nationaler und internationaler Leitlinien und Gesetze zu überprüfen und die im Projektverlauf aufkommenden ELSI-Aspekte zu thematisieren.

Die fünf beteiligten Zentren verwenden bereits Einwilligungserklärungen für Exom- und Genomanalysen, sowohl für diagnostische Zwecke als auch zum Zweck der Forschung. Die bestehenden Erklärungen sollen weiterentwickelt und vereinheitlicht, den lokalen Ethikkommissionen zur Beurteilung vorgelegt und schließlich auf der Webseite des Projekts veröffentlicht und verwendet werden.

Ausgangspunkt für die im Projekt verwendete Konsentierung sind in den letzten Jahren entwickelte Einwilligungserklärungen für die Genomanalysen [bspw. EURAT: Stellungnahme: "Eckpunkte für eine Heidelberger Praxis der Ganzgenomsequenzierung", 2., aktualisierte Auflage, Heidelberg 2015].

Zusätzlich zur notwendigen zeitnahen Konsent-Optimierung soll längerfristig das Prinzip des „informed consent“ weiterentwickelt werden, so dass eine flexiblere und nachgelagerte Untersuchung von Proben und Auswertung vorhandener Daten abgedeckt ist. Die Arbeit im AP1 kombiniert dabei theoretische Überlegungen mit konsultativen und kommunikativen Elementen, wie sie in der langjährigen Arbeit des Instituts Technik-Theologie-Naturwissenschaften bereits erfolgreich praktiziert wird (z.B. www.pflanzen-forschung-ethik.de/). Die Akzeptanz in der Bevölkerung für bspw. einen „Dynamischen Konsent“, der auch zukünftige Entwicklungen abdecken kann, soll erprobt und erhöht werden. Entsprechende Vorarbeiten sind bspw. im Zusammenhang des Heidelberger EURAT-Projekts geleistet worden (https://www.uni-heidelberg.de/totalsequenzierung/). Dabei sollen auch Projektmitarbeitende als Informationsquelle genutzt und für Fragestellungen sensibilisiert werden. Diese Arbeit soll, soweit zeitlich möglich, in den Projekt-Konsent schon mit einfließen.

Arbeitspaket 2: Bioprobensammlung (Koordination ZSE-Würzburg, Prof. Dr. Helge Hebestreit)

Die Bioprobensammlung und Lagerung erfolgt an den einzelnen Zentren nach standardisierten Protokollen. Blutproben, Zellen und Urinproben werden in ein zentrales Studienregister eingetragen und pseudonymisiert. Dazu werden die in den jeweiligen Standorten üblichen, konfektionierten Entnahme-Sets verwendet. Aliquots der Blutproben werden – wiederum nach standardisierten Protokollen – zur Analyse an die Bioprobenbank der TU München für die Probenvorbereitung im Sequenzierprozess verschickt. Aliquots der Blutproben sowie die übrigen Bioproben werden an den jeweiligen Standorten unter standardisierten Bedingungen in zertifizierten Biobanken gelagert. Eine teilweise oder vollständig zentralisierte Einlagerung von Bioproben ist nach bilateraler oder multilateraler Absprache möglich. Wenn immer möglich sollen auch Bioproben der Eltern der Patienten mit rekrutiert werden. Mit Hilfe der elterlichen Sequenzdaten wird die Qualität der Genomdaten erhöht, es können Untersuchungen zur Ausprägung von Sequenzvarianten in aufeinanderfolgenden Generationen angestellt werden und es können Sequenzvarianten bestimmt werden, die zum ersten Mal bei Kindern auftreten, sogenannte de-novo-Mutationen. Ein wichtiges Element der Bioprobensammlung ist die Koordination von Qualitätskontrollen für DNA-, RNA-, Serum- und Zellproben über den Gesamtverlauf des Projekts.

Arbeitspaket 3: Klinische Synopsen (Koordination: ZSE-Regensburg, Prof. M. Berneburg)

Teams von spezialisierten Klinikern an den Zentren für Seltene Erkrankungen (comprehensive rare disorder-Boards in Analogie zu den CCC-Boards) wählen die Fälle für die Studie aus und erstellen eine klinische Synopse von jedem einzuschließenden Fall (pro ZSE sind ca. 100 Fälle innerhalb der ersten 12 Monate des Projekts angestrebt. Wenn sich nach einem Jahr abzeichnet, dass ein ZSE zu wenige Fälle beisteuert, soll die Verteilung einvernehmlich adjustiert werden). Die Kommunikation und Dokumentation der Boards erfolgt über Videokonferenzen, deren Struktur und Funktionalität mit Hilfe des Projekts BASE-Netz eingerichtet wird. Dabei werden klinische Zeichen und Symptome der Patienten im Verlauf mit Hilfe einer einheitlichen Nomenklatur systematisch erfasst und in einer Phänotypendatenbank dokumentiert. Für die im Projekt berücksichtigten klinischen Fächer, u.a. Pädiatrie, Neurologie, Dermatologie, Nephrologie, Kardiologie, Endokrinologie und Psychiatrie, werden Koordinatoren bestimmt. Die umfangreiche klinische Datenerhebung in der Kindergeneration geht einher mit klinisch-epidemiologischen Untersuchungen bei der Elterngeneration sowie einer Betreuung der Familien im Rahmen klinisch-genetischer Ambulanzen an den Zentren. Die klinischen Daten verbleiben an den Zentren. Nur eine Auswahl an Zeichen und Symptomen werden pseudonymisiert in einer zentralen Phänotypdatenbank gespeichert und dort für das Projekt zugänglich gemacht.

Arbeitspaket 4: Genomsequenzierung und zentrale Datenanalyse (Koordination: MRI-TUM, PD Dr. T. M. Strom)

Die Sequenzierung erfolgt zentral am Institut für Humangenetik, Klinikum rechts der Isar der TU München, auf einer Plattform, die internationalen Standards in der Genomforschung entspricht (Zugang zu Sequenzinstrumenten der Illumina, PacificBio- und Oxford Nanopore). Die Plattform steht für Forschungsprojekte zur Verfügung.
Es folgt die Bestimmung der Varianten (variant calling) und die Speicherung der Daten in einer zentralen Genotypdatenbank. In der Genotypdatenbank ist eine zentrale Phänotypdatenbank integriert. Bei den Phänotypen wird nur eine Auswahl von Merkmalen gespeichert, die vollständigen Phänotypdaten verbleiben an den einzelnen Zentren. Die Zentren für Seltene Erkrankungen in Bayern erhalten einen webbasierten Zugriff auf den zentralen Datensatz in München und damit Zugang zu Genotyp- und Phänotypdaten des Projekts. Dabei sind die jeweiligen Zentrumsdaten vollständig zugänglich, während der Zugriff auf die Daten anderer Zentren über einen zu schließenden Kooperationsvertrag geregelt wird. Die Daten werden pseudonymisiert.

Arbeitspaket 5: Datenzentrum (Koordination: Prof. D. Kranzlmüller, LRZ)

Die Genotypdaten werden in zwei Stufen prozessiert und vorgehalten. Die erste Stufe stellen Rechner und Speicher am Rechenzentrum des Klinikums rechts der Isar der TU München. Die zweite Stufe bilden Rechner und Speichermedien am Leibniz-Rechenzentrum in Garching. Die Auswerteteams an den fünf beteiligten Zentren greifen am Projektbeginn über das Rechenzentrum am Klinikum rechts der Isar und im Projektverlauf über das LRZ auf die Daten zu.

Arbeitspaket 6: Dezentrale Genomanalysen (Koordination: ZSE-Erlangen, Prof. Dr. A. Reis)

An jedem der Standorte befasst sich ein etabliertes Team unter der Leitung eines erfahrenen Humangenetikers mit der Auswertung der Daten. Die Genomvarianten werden den klinischen Bildern zugeordnet und ein Genombefund wird erstellt. Dazu wird ein etabliertes Exom-Analyse-Programm verwendet, das webbasiert allen Zentren zur Verfügung steht. Zusätzlich steht allen Zentren die komplette Genomsequenz ihrer jeweiligen Patienten plus ggf. Vergleichsinformationen anderer Patienten in der Datenbank zur Verfügung. In enger Zusammenarbeit der Arbeitsgruppen werden die Auswerteprotokolle standardisiert und damit reproduzierbare und schnelle Analysen ermöglicht. Durch ein Videokonferenzsystem werden standortübergreifende Falldiskussionen ermöglicht.

Arbeitspaket 7: Koordination der internen und externen Kommunikation (Koordination: Prof. H. Domdey, BioM)

BioM nutzt ihre bestehende Expertise und Infrastruktur für die Organisation von Veranstaltungen und die Koordination der Außenkommunikation (PR, Marketing) des Projekts.

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